“Liebesakte in Literatur und Film hat man schon zur Genüge konsumiert. Doch Rainer Wochele bietet eine Weltpremiere. Er lässt ein Wildschwein einem Paar beim Sex zuschauen. Das Tier kann gar nicht fassen, was es da in einer Waldhütte sieht. Ist das womöglich eine Riesennacktschnecke? Der “starke Keiler” nimmt jedenfalls lieber Reißaus. Der Keiler ist eine der Hauptfiguren in Wocheles Roman “Das Mädchen, der Minister, das Wildschwein”. Der Autor kriecht in den Kopf des borstigen Burschen, der wohl für unverbogene Naturgewalt steht, und begleitet das Tier bei seinem Geschnuffel durch schwäbische Waldungen. Dazu verrät Rainer Wochele, Stuttgarter Autor und StZ-Mitarbeiter, bei seiner Lesung in der Osianderschen Buchhandlung, Recherche und “größenwahnsinnige Einfühlung” hätte ihn wagen lassen, die Welt aus Keilerperspektive (nicht durchgehend in seinem Roman, aber immer mal wieder) zu beschreiben. Hauptheld des Romans aber ist Gerd F. Rauschenberg. Einst wütete der Mann gegen die Atomkraft. Inzwischen ist er Umweltminister in einer großen Koalition. Wohlig lässt sich Rauschenberg im Dienst in weiche Landtagssitze sinken und mag der Atomanlage Fuchsklinge die ersehnte Dauerbetriebsgenehmigung nicht versagen. Privat trägt Rauschenberg noch gerne ein Käppi mit der Aufschrift “Atomkraft, nein danke”, doch in den Kabinettssitzungen übt sich der frühere Deutschlehrer im “rhetorischen Bodenturnen”. Wann? 1994. Wo? In einem “südwestlichen Fünf-Sterne-Bundesland”. Eine fetzige Begleiterin hat sich Rainer Wochele für den Exökopax ausgedacht, der zum Macht-Genussmenschen geworden ist: die Gymnasiastin Ines, kurz vor dem Abitur stehend und ein kesses Girlie in mondänen Pumps. Der Minister kennt sie seit ihrer Kindheit und verbringt nun ein Wochenende mit dem Mädchen. Sein Buch sei ein “psychischer Abenteuerroman, die Geschichte einer unziemlichen Liebe”, erklärt Rainer Wochele. Zugleich habe er einen Roman geschrieben “über die Macht des Politischen, das sich die Wirklichkeit zurechtbiegt”. Das zeigt sich bei dem Minister Rauschenberg auch im rhetorischen Verkleistern von Fakten.“Es ging darum, dass man ein stattgefundenes Ereignis noch einmal kräftig mit Worten, mit Sätzen umspülte und dabei das Ereignis mit ein, zwei in das sprachliche Spülwasser hineingegossenen Spritzern Lüge eine Spur verfälschte, verschob.” Wocheles Politheld gerät dennoch ganz schön in die Zwickmühle. Während er die Atomanlage Fuchsklinge dauerhaft erlauben möchte, meint sein Mitarbeiter Murschel, Referatsleiter Kernkraftsicherheit im Ministerium, das AKW müsse vom Netz. Murschel ist der Vater des Studenten Torsten, der wiederum mit Rauschenbergs Wochenendgefahrtin Ines verbandelt ist. Auch lnes lehrt den Minister letztlich das Fürchten. Die versierte Segelfliegerin nimmt Rauschenberg mit ins Cockpit, und um ein Haar kommt es zum Absturz. In einer ironisch zupackenden Sprache und mit außerordentlicher Rasanz beschreibt Wochele das Wochenende des ungleichen Paars. Amüsant schnoddrig und doch präzise kommt die Rollenprosa des turbulenten Romans daher. Und was soll nun jener “starke Keiler”, der laut Wochele die (nicht namentlich genannten) “Wälder zwischen Warmbronn und Botnang” durchstreift? Wochele möchte mit dem kraftvollen Tier die “Wucht und Energie des Animalischen” verdeutlichen. “Man verachte uns die Wildschweine nicht!” mahnt der Autor. Immerhin hat der Keiler einen wesentlichen Anteil an dem hochdramatischen Ausgang von Rainer Wocheles Roman. Wer übrigens nach Ähnlichkeiten von Wocheles fiktiver Personage mit real existierenden Personen aus der politischen Szene jenes “Fünf-Sterne-Bundeslandes” fahndet, dürfte fündig werden.”